Ein Radiomann mit Wellenschalter und Abstimm-Skala - Bastel- und Erfahrungsbericht

Ich bastele bereits seit meiner Schulzeit hin und wieder, auch mit Röhren - dennoch habe ich erst vor einigen Jahren über Joachim Gittels jogis-roehrenbude.de und die Seite von Burkhard Kainka erfahren, daß übliche Röhren auch mit kleinen Anodenspannungen arbeiten.
Also mußte etwas in dieser Richtung probiert werden: Ein Audion hatte ich nie gebaut und Jogis Batterie-Empfänger mit der Röhre 3B7 gefiel mir sehr gut.
Ich hatte noch eine ECC 82 und einen 500 pF Trolitul-Kondensator von meinem ersten Detektorempfänger, daher bot sich eher die vielversprechende Radiomann-Schaltung der Neuauflage des gleichnamigen KOSMOS-Experimentierkastens auf b-kainka.de zum Nachbau an.

Anmerkung: Audion-Empfänger waren in den 1920er-Jahren sehr beliebt. Durch Rückführung von HF-Energie hinter der Verstärkerröhre auf den Schwingkreis wird dessen Resonanzkurve wesentlich steiler und der Empfang erheblich empfindlicher. Bild 1 zeigt die Resonanzkurve bzw. das Abstimmverhalten bei langsamem Durchdrehen des Drekondensators von einem einfachen Schwingkreis, Bild 2 von einem Audion. Bild 3 zeigt das typische Abstimmverhalten eines Radios mit Bandfilters, wie sie in den heute üblichen Superheterodyne-Radios (Überlagerungsempfänger mit konstanter Zwischenfrequenz) möglich sind. Man kann sich aufgrund der steilen Flanke der Resonanzkurve mit Plateau vorstellen, daß hier die Abstimmung auf den Sender mit der Frequenz f viel einfacher ist, als bei einem Audion. Tatsächlich bekommt man auch mit dem hier beschriebenen Nachbau-Empfänger einen guten Eindruck davon, wie in den 1920er-Jahren Radio gehört wurde. Resonanzkurven

Bei der Radiomann-Schaltung gefiel mir insbesondere der einfache Spulenaufbau mit nur einer Anzapfung, denn ich wollte 2 Wellenbereiche (MW + KW) umschaltbar haben. Außerdem erschien mir die Lösung für die Einstellung der Rückkopplung über das 47k-Poti elegant, sie erlaubt gleichzeitig eine Lautstärkeeinstellung auch bei stark einfallendem Ortssender durch Reduzierung der Rückkopplung.
Die Kathode der Audion-Triode ist über einen Teil der Schwingkreisspule hochfrequenzmäßig von der Masse der Schaltung getrennt, wodurch das Gitter offensichtlich die HF-Einkopplung aus dem Anodenstromkreis, je nach Stellung des Potis, erhält. Das Poti leitet HF aus dem Anodenstromkreis der Audionröhre mehr oder weniger an die Masse (so habe ich mir das erklärt..).

Als Wellenschalter dient ein doppelpoliger Umschalter:
Schaltbild Wellenschalter Audion
Spulen:

MW: 33 + 33 Windungen HF-Litze auf Vogt Topfspule mit Ferritkern (normaler lackierter Cu-Wickeldraht tut's auch)
KW: 9 + 9 Windungen (fertige Spule mit verstellbarem Ferritkern aus Restbeständen, aber auch leicht selbst zu fertigen)


Die Leitungen zwischen Schalter und Spulen und Drehkondensator sollten so kurz wie möglich sein, sonst erwischt man die Rundfunkbereiche aufgrund der zusätzlichen Induktivität und Kapazität nicht. Die MW-Spulen mußte ich daher bereits von 35 auf 33 Windungen kürzen.

Einen Übertrager im Anodenkreis der NF-seitigen Triode zum Anschluß dieser preiswerten niederohmigen Walkman/mp3-Kopfhörer habe ich aus einem alten Ferrit-Topfkern selber hergestellt:

Um im Anodenkreis bei 1000 Hz etwa 100KΩ Impedanz zu haben, wickelte ich 5550 Windungen mit einem sehr feinen Cu-Draht als Primärwicklung und etwa 280 Windungen eines stärkeren Cu-Drahtes als Sekundärwicklung auf den Spulenkörper des Topfkerns (1:20).
Berechnet, bzw. abgeschätzt habe ich die erforderliche Windungszahl mit folgenden Formeln aus einschlägigen Physikbüchern:

L = Z/(2π·f) = 100000Ω/(2·π·1000s-1) = 15,9 H
(Z: Impedanz in Ω; f: Frequenz in Hz bzw. s-1; L: Induktivität in H bzw. Henry)

Die Windungszahl N ergibt sich aus der Induktivität wie folgt:

N² = l(m)·L/(µ(0)·µ(r)·A) = 0,05 m·16/(10·1,257·10-6·0,025²·π) = 32 210 833
N = 5675 Windungen

(l(m): mittlere Feldlinienlänge in m; l(m)= 2·r bei Ringspulen-Geometrie; µ(0) = 1,257·10-6 Vs/Am; µ(r)= Permeabilitätszahl = 10 bei Ferrit-Topfkern; A = Spulengrundfläche in m²)

Eine handgetriebene Bohrmaschiene eignete sich hervorragend für das Wickeln. Der dünne 0,05 mm - Draht ist mir aber dennoch nach etwa 5550-Windungen gerissen, die tatsächliche Windungszahl habe ich anhand des Gleichstromwiderstandes von 2,8 KΩ nochmal geschätzt bzw. hochgerechnet, weil ich mich natürlich beim Kurbeln verzählt hatte...
Anordnung zum Spulenwickeln

Primärwicklung (hochohmig)

Aufbau des NF-Übertragers

Es gab noch ein gebogenes Alublech und ein Zinkblech, die beide noch zu bohren waren, einige dickere Pertinaxplatten, einige "Telefonbuchsen" (Sprachgebrauch in den Heinz-Richter-Büchern), eine 3,5mm- Klinkenbuchse und vor allem ein Feintrieb aus einem alten Röhrenfernseher der 60er Jahre mit einem Übersetzungsverhältnis von 1:4,75 in meinem Bastelschrank:

Bauteile Radiomann

Als Schüler war ich leider nicht immer so fleißig und produktiv, wie beim Ausschlachten von alten Geräten:

historische R und C

Zusammengebaut war alles schnell - man erhielt so ein klassisch-solides Design:

Frontansicht ohne Skala

Aufbau von Hinten

Die paar Teile sind rasch verdrahtet:

Verdrahtung Radiomann

Die Anschlüsse der hochohmigen Wicklung des NF-Übertragers sind mit 0,05 mm sehr dünn und empfindlich, sie müssen vor dem Löten mit der heißen Flanke des Lötkolbens abisoliert und dann verzinnt werden. Die Durchführung durch das Alublech erfolgt durch Gummischlauch.

Hier die (nicht optimale) mechanische Verbindung des Feintriebs mit dem 500pF-Drehko mit einem Stück Isolierschlauch. Ein passendes starres Metallrohr oder eine Stahlfeder wären besser.

Drehko Radiomann

So wird angeschlossen:

Anschlüsse Radiomann

Die Leistung der Schaltung ist bemerkenswert: Bezüglich der Kurzwelle war ich zunächst skeptisch, ich habe aber mit einem einfachen Draht abends Fernempfang von 10 - 20 Sendern, die ich aber ohne Feintrieb gar nicht abstimmen könnte. Der Antennendraht, den ich verwende, wird bei KW am besten über den 33pF-Kondensator an das R-C-Glied vor dem Gitter angeschlossen. Das entspricht im Bild dem mittleren Antennenanschluss. Die Abstimmung ist etwas davon abhängig, wo die Antenne angeschlossen wird, was bei Verwendung einer Abstimmskala berücksichtigt werden muß.
Als Netzteil dient ein ausgedientes Handy-Ladegerät mit 12 V - Gleichspannung, die nur durch einen 1000µF - Elko
an den Geräteanschlüssen etwas geglättet wird, so daß bei schwach einfallenden Sendern (Hörbeispiele) leider ein Netzbrummen deutlich zu hören ist.
Das lässt sich aber erheblich verbessern, indem man die Anodenspannung der NF-Verstärker-Triode (am Anschluss Ausgangstrafo, hochohmige Seite oder 2000
Ω - Kopfhörer) über einen Tiefpass (z.B. 330 Ω mit folgendem 2200 µF -Elko) glättet (Nachtrag 27.05.2015).

Die guten Empfangsleistungen ermutigten dazu, eine Frequenz- und Bandskala als Abstimmhilfe zu erstellen. Die Vorgehensweise wird im Folgenden beschrieben:

Da ich über einen guten KW-Empfänger mit digitaler Frequenzanzeige verfüge (Panasonic RF-B65), konnte ich ohne Meßsender eine vorläufig aufgeklebte Skala (mit Corel-Draw gezeichnete Spirale mit 4,75 Umdrehungen) mit Frequenzmarkierungen versehen. Da man ein Audion hat, können auch tagsüber, ohne hörbare Sender, beide Empfänger auf gleiche Frequenz abgestimmt werden. Dazu das Rückkopplungs-Poti gerade soweit aufdrehen, daß das Audion schwingt und den Kontrollempfänger auf das Pfeifen abstimmen. (Zur Vermeidung von bösen Emails und im Interesse von ggf. KW-hörenden Nachbarn betone ich: Natürlich nur kurz!) Die Drehwinkel habe ich mit dem Geodreieck gemessen bzw. abgeschätzt, was etwas mühsam ist.

Ich erhielt bei meinem Radiomann mit dem 4,75:1 -Feintrieb etwa folgenden Zusammenhang zwischen Drehwinkel und Frequenz:

KW-Sender [KHz] Drehwinkel [°]
(lks. = 0°)
MW-Sender [KHz] Drehwinkel [°]
(lks. = 0°)
Dt. Welle
6075
731
WDR II (Ortssender)
774
663
RÖI Wien
6155
725
dt. Sender
864
515
BBC
6195
713
AFN Frankfurt
873
495
China für Taiwan
7380
512
RAI Mailand
900
455
Griechenland (Thessaloniki)
7450
491
Slowenien
918
435
China
?

BBC
1053
285
Bukarest
?

Hrvatska (Kroatien)
1134
210
Griechenland
9420
270
Moskau
1215
164
Moskau
9625
263
DLF
1269
140
China
?

DLF
1422
90
spanisch
?

CRI China
1440
89
Brasilien
11905
135
ERF-Radio
1539
79

Das sollte physikalischen Gesetzen gehorchen, so daß sich das mathematisch modellieren läßt. Also: Eingeben der Daten in ein Tabellenkalkulationsprogramm und Trend berechnen lassen:

Plot Senderfrequenzen vs. Drehwinkel

y-Achse: Frequenz in [Hz]; x-Achse Drehwinkel in [°]

Ich finde, die mathematische Modellierung bzw. die Korrelationskoeffizienten können sich sehen lassen! Warum die logarithmische Funktion in beiden Fällen insbesondere am niederfrequenten Skalenende besser paßt, als Potentialfunktionen, kann ich mir nicht erklären.

Mit den so gewonnenen Gleichungen (s. Grafiken) ließen sich mit Hilfe der Tabellenkalkulation rasch durchgehende Frequenz-Winkel-Tabellen erstellen, eine in 45°-Schritten und eine andere zur Markierung der KW-Rundfunkbänder. Diese dienten als Grundlage für folgende mit Corel-Draw erstellte Grafik (MW 1675 - 690 KHz - danach kann man zwar noch weiterdrehen, es kommt aber nichts mehr; KW 15,5 - 5,5 MHz):

MW-KW-Abstimmslala für den Radiomann

Im geeigneten Maßstab am besten mit Laserdrucker auf gutem Papier ausdrucken, aufkleben, fertig (bei Corel-Draw kann man 1:1 skaliert auf DIN A4 ausdrucken):

Radiomann mit Abstimmskala

Kästchen drumherum gegen Staub und neugierige Wurstfinger:

Radiomann im Gehäuse vorne Radiomann im Gehäuse hinten

Alle Tabellen und Skalen stelle ich hier zur Verfügung:
Berechnungen als *.xls
(leider ohne Trendberechnung, dies ging bei mir nur in Lotus 123 zufriedenstellend)

Skala für Drehko in *.cdr
Skala für Rückkopplungs-Poti in *.cdr